Geraldo de Barros
120 - Abstrakt, aus der Serie Fotoforma, Estação da Luz, São Paulo
Geraldo de Barros ist vielleicht der Tausendsassa der brasilianischen Moderne. Wie kein anderer wechselt er Stile, Techniken und Medien und arbeitet über den Tellerrand der traditionellen Sparten hinweg: Er ist Maler und Fotograf, aber auch Designer und Grafiker. 1923 geboren, entschliesst er sich im Alter von 18 Jahren Künstler zu werden. Trotzdem schliesst er ein Wirtschaftsstudium ab und arbeitet danach stets bei der Banco do Brasil. Parallel dazu beginnt er ein Kunststudium.
Die Fotografie nutzt de Barros ab 1946 und beginnt sogleich mit dem Medium zu experimentieren. Zuerst sind es «nur» im Gegenlicht aufgenommene Fotos, Doppelbelichtungen und ungewohnte Blickwinkel.
Diese Fotografie unter dem Titel «Abstrakt» ist Teil der Serie der «Fotoformas», einer innovativen Serie abstrakter Fotografien. Die Schwarzweissfotografie ist geprägt durch Helldunkel-Kontraste: Tief schwarze Flächen und Linien wechseln sich mit helleren Stellen in Grautönen. Das Motiv erinnert an Spiegelungen in einer Glasfassade oder in einem Fenster. Vielleicht auch durch mehrere Fenster vervielfachte Spiegelungen. Im Untertitel erwähnt de Barros den Ursprung des Motivs: Es ist der Bahnhof Luz in São Paulo. Der Bahnhof wurde um 1900 im Viertel Luz gebaut. Die Bahngleise sind von einem Tonnengewölbe, einem halbkreisförmigen Dach, aus Stahl überdacht. Dieses wird von einem giebelförmigen Oberlicht durchbrochen, mit Stäben, die die einzelnen Scheiben verbinden. Diese Dreiecksformen sind in de Barros Fotografie in mehrfacher Überlagerung und Verschiebung zu sehen. Durch die Bearbeitungen entsteht eine komplexe, abstrakte Komposition.
Zu Beginn der 1950er Jahre hält sich de Barros mit einem Stipendium in Paris auf. In diesem Rahmen lernt er in Zürich Max Bill kennen. Dessen Ideen inspirieren de Barros zu konkreten Gemälden, die seinen abstrakten «Fotoformas» sehr verwandt sind.