Tarsila do Amaral
104 - Favela–Hügel
Tarsila do Amaral malt eine Ansicht farbiger kleiner Häuser hinter einer hügligen, bewachsenen Landschaft. Zwischen den Häusern sind dunklere Holzhütten dargestellt. Einige Schwarze Menschen – Erwachsene und Kinder – sowie zwei Tiere – ein Hund und ein Vogel – beleben den Ort. Eine steinerne Brücke führt links zur Siedlung. Alle Gegenstände und Figuren sind in reduzierten Formen dargestellt, besonders auffallend in den ovalen Formen der Pflanzen. Amaral, die aus reichem Haus stammt, lernt in ihrer Kindheit auch die ländliche Kultur kennen und meinte dazu:
«Ich fühle mich immer brasilianischer: Ich will die Malerin meiner Heimat sein. Wie dankbar ich bin, meine ganze Kindheit auf der Farm verbracht zu haben.»
Amaral wächst auf den Kaffeeplantagen des Vaters auf, der zur ländlichen Kaffee-Oligarchie gehört. Sie wird 1886 geboren, also zwei Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien. Die Tausenden ehemals versklavten Menschen wurden aber nicht in die Gesellschaft integriert. Auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft zogen sie in die Städte, wo nun Favelas entstehen. Der Begriff «Favela» wurde erstmals um 1900 verwendet, um einen Hügel im Hafengebiet von Rio de Janeiro zu beschreiben. Der Hügel hiess «Morro de Favela», also Hügel der Favela. Favela ist der portugiesische Name einer typisch brasilianischen Pflanze, die an diesem Standort wuchs. Auf dem Hügel errichteten ehemalige Soldaten und Sklav:innen behelfsmässige Unterkünfte.
Amaral greift dieses gesellschaftliche Thema auf, jedoch als freundliche Idylle. Die Farben der Häuser sowie die Einbettung in eine harmonische Natur und Umgebung tragen zu einer Vereinfachung der realen Zustände bei. Diese verharmlosende Darstellungsweise ist aus heutiger Sicht problematisch.