Anita Malfatti
103 - Der Mann mit den sieben Farben
Anita Malfatti stammt aus einer Mittelschichtfamilie aus Einwanderern. Der Vater ist italienischer Herkunft, die Mutter deutsch-amerikanisch. Durch ein Stipendium ihres Onkels kann Malfatti zu Beginn der 1910er Jahre in Berlin zuerst eine kunstgewerbliche Ausbildung absolvieren, danach ist sie Schülerin des expressionistischen Malers Lovis Corinth. Aber vor allem lernt sie die Kunst der europäischen Moderne kennen, die in Brasilien noch weitgehend unbekannt ist. Ihre Begeisterung drückte sie folgendermassen aus:
«Malerei habe ich erst wahrgenommen, als ich in Europa ankam. Als ich die Museen besuchte, wurde mir schwindlig von dem, was ich sah.»
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss Anita Malfatti Europa verlassen. In Brasilien zeigt sie erstmals ihre Werke. Die Kühnheit ihrer Malerei trifft auf Unverständnis; ihr Können im Umgang mit Farbe und ihr kräftiger Ausdruck werden aber auch positiv wahrgenommen. Bereits 1915 zieht sie in die Vereinigten Staaten und verfeinert dort ihren Stil. In dieser Zeit entsteht «Der Mann mit den sieben Farben»: Ein männlicher Akt schreitet durch eine üppige Gartenlandschaft. Kopf und Füsse sind abgeschnitten, als würde sich sein muskulöser Körper ausdehnen und jeglichen Platz einnehmen. Malfatti malt die leuchtenden Farben mit Pastellkreiden, ergänzt mit Holzkohle. Den Körper modelliert sie ausschliesslich mit Farbe: Gelb, Grün und Blau – die Farben der brasilianischen Flagge! Hinter und neben der Figur malt Malfatti die typisch brasilianischen Bananenblätter.
Die in den USA entstandenen Werke zeigt Malfatti 1917 in einer Ausstellung in São Paulo. Sie wird zum Anlass eines vehementen Streits zwischen konservativen Akademikern und den Modernen. Malfatti entfacht als erste eine Diskussion dieser beiden Haltungen. Dadurch wird die Ausstellung zur Geburtsstunde der brasilianischen Moderne!