Anita Malfatti
102 - Porträt von Mário de Andrade
Im Alter von 33 Jahren setzt Anita Malfatti 1923 ihre Ausbildung fort. Mit einem Stipendium – eigentlich für junge Kunstschaffende gedacht – kann die bereits renommierte Künstlerin in Paris studieren. Auch andere Brasilianer:innen wie Oswald de Andrade und Tarsila do Amaral sind in dieser Zeit in Paris. Malfatti lernt Künstler wie Maurice Denis kennen, der sie berät, und lässt sich vom Schaffen von Henri Matisse inspirieren. Die kühne Farbigkeit und die grobe Malweise ihrer expressionistischen Werke weichen jetzt einer klassischeren Haltung.
Malfatti meinte dazu:
«Innerhalb von vierzehn Tagen war ich an Bord und begann eine Reihe von ruhigen und viel plastischeren Studien, die es mir erlauben würden, mein ganzes Leben lang zu malen, ohne die Wiederholung des Feuerwerks der ersten innovativen Phase.»
In diesem klassischeren Stil mit zurückhaltender und natürlicher Farbgebung malt Malfatti in den 1920er Jahren zahlreiche Porträts, so auch mehrere von Mário de Andrade. Er ist Dichter, Kritiker, Folkloreforscher und Musikwissenschaftler und vor allem einer der wichtigsten Protagonisten der brasilianischen Moderne. Malfatti und Mario de Andrade verbindet eine tiefe Freundschaft, die sich etwa in einem langjährigen Briefwechsel äussert.
Mário de Andrade beginnt seine Laufbahn mit einem Klavierstudium, verlegt sich dann auf Gesang und Musiktheorie. Früh bereist er die ländlichen Regionen Brasiliens und erforscht die vielfältige Kultur, Folklore und vor allem die Musik des Landes. Ab 1922 ist er Teil der Gruppe der Fünf gemeinsam mit Malfatti, Tarsila do Amaral, dem Dichter und Maler Menotti Del Picchia sowie Oswald de Andrade. Im selben Jahr organisiert er mit Gleichgesinnten die «Semana de Arte Moderna» –
die Woche der modernen Kunst. Mário de Andrade zählt zu den wichtigsten Stimmen der brasilianischen modernen Literatur und der Moderne schlechthin.