Candido Portinari
108 - Migranten, aus der Serie Migranten
Candido Portinari ist einer der wichtigsten brasilianischen Kunstschaffenden der Moderne. Er schuf ein umfangreiches Werk, seine Wandmalereien finden sich in Ministerien Brasiliens wie auch im UNO-Hauptquartier in New York. Bereits Anfang der 1930er Jahre ist er bekannt und erhält zahlreiche öffentliche Aufträge unter der Präsidentschaft von Getúlio Vargas. Auch nachdem die Regierung immer diktatorischere Züge angenommen hat, bleibt Portinari dem damaligen Erziehungsminister eng verbunden– weshalb er auch kritisiert wurde.
Zu Beginn der 1940er Jahre malt Portinari eine ganze Reihe von Werken zum Thema der Migrant:innen. Eines der bekanntesten ist dieses grossformatige Ölbild von 1944 – es ist eine Ikone der brasilianischen Moderne! Der Künstler stellt eine karge Landschaft mit Bergen im Hintergrund dar. In dieser Szenerie befindet sich eine Familie vom Kleinkind bis zum Greis. Sie sind alle ärmlich und verwahrlost gekleidet und tragen keine Schuhe. In ein paar wenigen Bündeln scheinen sie ihre Besitztümer mit sich zu tragen. Ihre Gesichter sind von Leid und Armut geprägt, ihre abgemagerten Körper und aufgeblähten Bäuche zeugen von Hunger und Mangel. Hinter der Gruppe ist ein ganzer Schwarm schwarzer Vögel zu sehen, der nur darauf zu warten scheint, dass jemand stirbt. Die öde Landschaft, übersät von Knochen, verweist auf den Grund der Flucht dieser Familie: Aufgrund einer Dürre sind sie gezwungen, den Nordosten des Landes zu verlassen und an einem anderen Ort – vielleicht in einer Stadt – Arbeit zu suchen.
Der Künstler beschreibt hier nicht Einwanderer aus Europa oder Afrika, sondern die Binnenmigration in Brasilien selbst. Durch wirtschaftliche Krisen – etwa den Börsencrash von 1929 – und vor allem Dürreperioden kam es immer wieder zu Migrationswellen und zur Landflucht. Zur Zeit der Entstehung des Bildes engagiert sich Portinari politisch und sozial. Er kandidiert für die kommunistische Partei in Brasilien als Abgeordneter, wird aber nicht gewählt.