Alfredo Volpi
116 - Fassade I
«Ich wartete frühmorgens alleine auf den Zug. Ich ging ein paar Schritte und dann schlug es mir entgegen – ich sah diese Fähnchen. Also komponierte ich die Fassaden mit den Fähnchen. Später gelang es mir, es nur mit Fähnchen zu bewältigen.»
Meinte Alfredo Volpi 1971 zu seinem immer wiederkehrenden Motiv der Fahnen. Sie tauchen ohne Unterschied in abstrakten wie auch gegenständlichen Bildern auf. Entdecken konnte er sie in den Feierlichkeiten zum Geburtstag des Heiligen Johannes am 24. Juni. Zu dessen Ehren wurden bunte Fähnchen aufgehängt, Maibäume errichtet, Tänze aufgeführt und Feuerwerk entzündet.
In diesem Bild aus den 1970er Jahren tauchen die farbenfrohen Fähnchen in ihrer typischen Form mit den dreieckigen Spitzen auf. Sie schweben in Gelb, Rot und Weiss über der Andeutung einer Architektur. Wie Schornsteine – mit blauen Spitzen – ragen zwei Türme gegen die Fähnchen empor. Daneben ist eine Fassade mit einem blauen Bogenfenster zu sehen. Es könnte auch ein abstraktes Bild sein, würden nicht die Fähnchen schelmisch die geometrisch-abstrakte Strenge aufheben und den Zufall eines Windhauchs mit in die Komposition bringen. Dasselbe Motiv findet sich in vielen von Volpis Werken in praktisch identischer Form, aber mit wechselnder Farbe und Anzahl der Fähnchen.
Neben der kompositorischen Geometrie ist das ganze Bildfeld durch die einzelnen, sichtbaren Pinselstriche strukturiert. Mit einem Borstenpinsel malt Volpi sorgfältig parallele, dicke Striche. Alle sind horizontal angelegt und tragen dazu bei, dass die Komposition zwar streng geometrisch wirkt, dennoch aber sehr lebendig.