Tarsila do Amaral (1886–1973)
Ikone der Avantgarde, die in ihren Gemälden die Brasilidade zelebrierte und diese nach Paris exportierte.
Tarsila do Amarals Familie gehörte der Oberschicht an und besass eine Kaffeeplantage. Nach einer klassischen Kunstausbildung in São Paulo ging sie 1920 für zwei Jahre nach Paris, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Dort machte sie sich mit den modernen Kunstrichtungen vertraut und kehrte 1922, kurz nach der Semana de Arte Moderna, nach São Paulo zurück. Sie fand schnell Anschluss an die Avantgarde rund um Anita Malfatti und die Schriftsteller Oswald und Mário de Andrade. Bald reiste sie mit Oswald de Andrade für ein Jahr nach Paris, wo sie ihre brasilianische, «exotische» Identität regelrecht zelebrierte. Sie lud Picasso, Giorgio de Chirico und Fernand Léger zu brasilianischen Nachtessen ein und begann Gemälde zu malen, in denen sie Eindrücke aus Paris und ihrem Heimatland kombinierte. Um neue Anregungen zu erhalten, kehrte das Paar Ende 1923 nach São Paulo zurück. Sie malte Darstellungen in einer vom Kubismus und Surrealismus geprägten Bildsprache, die das Leben der Landbevölkerung oder der ehemals versklavten Menschen in den Favelas am Rand der Städte als realitätsfremde, idyllische Utopie darstellte.
Wie andere Kunstschaffende suchte do Amaral nach Wegen zur Darstellung der brasilianischen Identität und glaubte sich dieser im Rückgriff auf eine vermeintlich ursprüngliche Bevölkerung zu nähern. Die bis vor kurzem noch versklavten afrobrasilianischen Arbeiter:innen, mit denen sie auf der Kaffeeplantage aufwuchs, wurden ein beliebtes Motiv wie in A negra (1923). Ihre Gemälde regten ihren Partner Oswald de Andrade zum Manifesto Antropófago an. Darin forderte er, dass die Einflüsse aus Europa einverleibt und verdaut werden sollen, um eine eigene brasilianische Kunst zu entwickeln. Die lokalen Kulturen sollen mit einer modernen Haltung verschmelzen. In den 1930er Jahren veränderte sich do Amarals Kunst fundamental: Der politischen und gesellschaftlichen Situation des Estado Novo entsprechend malte sie in einem realistischeren Stil Themen der Arbeiterschaft.