Le Corbusier
109 - Ohne Titel (Studie für «Geige und Geigenkasten»), um 1920
Graphitstift auf Papier, 19 x 25.5 cm
Fondation Le Corbusier, Paris
Das Zeichnen und die Malerei sind für Le Corbusier Quellen des Experimentierens und Teil seiner geduldigen Recherche – insbesondere in Bezug auf seine Arbeit als Architekt. Er erwähnt dazu:
«Ich glaube, wenn man meiner Arbeit als Architekt irgendeine Bedeutung zuschreibt, dann ist es diese Arbeit im Verborgenen, der man den grössten Verdienst beimessen muss.»
Diese «Arbeit im Verborgenen» hat seinen Ursprung in seiner Ausbildung zum Graveur in La Chaux-de-Fonds. Hier wird für ihn das Zeichnen zu etwas Alltäglichem. In frühen Zeichnungen versucht der Künstler-Architekt immer wieder, die zentralen Formen, die wesentlichen Linien und Strukturen des Gesehenen – etwa einer Landschaft – zu erfassen und damit auch zu verstehen. Er versucht zum «Kern der Sache» vorzudringen, wie er es selbst nennt. So will er die verborgene Ordnung der Dinge finden. Später arbeitet er in einem langsamen und methodischen Prozess an seinen Werken. Zu allen Gemälden, Skulpturen und Gebäuden entstehen Skizzen, Studien und Entwürfe. Schritt für Schritt entwickelt er eine Komposition.
Diese Skizze entsteht um 1920 während Le Corbusiers puristischer Phase. Er zeichnet die Umrisse der Gegenstände mit Bleistift und fügt in einer feinen Schraffur die Schatten hinzu. Bei dieser Verdoppelung der Konturen durch die Schatten ist die Auseinandersetzung mit dem Kubismus sichtbar. Man scheint die Gegenstände aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.
Neben der Geige und dem Geigenkasten sieht man ein Arrangement von Früchten auf einem Teller unten links, daneben Flasche und Glas, rechts ein Buch und darüber zwei Karaffen – oder nur eine und ihr Schatten? Es sind weitere Skizzen rund um diese Komposition erhalten. Sie unterscheiden sich in kleinen Variationen der dargestellten Gegenstände und in den zeichnerischen Mitteln. Auffallend ist die streng geometrische Ausrichtung der Gegenstände: die Ordnung der Dinge! Diese Skizze zeigt neben den Gegenständen zahlreiche Hilfslinien, die waag- und senkrecht sowie in der Diagonalen über das Blatt führen. Le Corbusier nennt sie «tracés régulateurs», also «regulierende Linien». Sie basieren auf klaren Geometrien, dem rechten Winkel und dem Goldenen Schnitt. So verhindern sie die Zufälligkeit einer Komposition.