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Paul Klee

208 - Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich, 1903

Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich

Dieses Werk ist Teil einer ganzen Reihe von Radierungen, die Klee als sein erstes gelungenes Oeuvre bezeichnet. In allen Werken der Reihe übt sich Klee in einer satirischen Kritik an gesellschaftlichen Regeln und Zwängen.

Es stehen sich zwei nackte, wohl ältere Herren in einer kargen, felsigen Landschaft gegenüber. Ihre Körper sind überspitzt dargestellt, gleichzeitig sind Knochen und Gelenke sehr detailverliebt ausgearbeitet. Beide Männer beugen sich unnatürlich weit nach vorne. Klee nennt das Bild: «Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich». Die beiden Herren wissen also nicht so genau, in welcher Stellung der jeweils andere ist. Um die Etikette zu wahren, verbeugen sie sich zur Sicherheit extra tief. Der Andere tut dasselbe, so dass sie sich immer tiefer beugen.

Es sind nicht irgendwelche Herren dargestellt. Die Gesichter lassen sie eindeutig identifizieren: als Kaiser Wilhelm II. von Preussen und Kaiser Franz Joseph I. von Österreich. Aber Klee hat durchaus eine allgemeinere Kritik im Sinn. 1903 schreibt Klee in einem Brief an seine Frau Lily:

«Meine Radierung stellt in primitivster Weise vor: eine Begegnung zweier Männer, je einer den andern in höherer Stellung vermuthend, das heisst vor einander kriechend.»

Es sind gesellschaftliche Regeln, die Klee als verlogen demaskiert. Etwa die übertriebenen Rituale der Etikette und der hierarchischen Strukturen. Solche «Rituale» können dazu führen, dass man statt einer höflichen Verbeugung als Respektsbezeugung eine akrobatische Verneigung macht.