Paul Klee
206 - Ohne Titel (Anatomische Zeichnung der Armmuskulatur), 1902/03

Wahrscheinlich sind Sie ganz erstaunt, diese anatomische Zeichnung im Schaffen von Paul Klee zu finden. Verbindet man doch mit seinem Werk Abstraktion und leuchtende Farben, Strichfiguren und zeichenhafte Linienformen. Es dauert aber Jahrzehnte und etliche Zwischenschritte, bis Klee dorthin gelangt. Die anatomischen Zeichnungen aus den Jahren 1902 und 1903 sind ein nicht ganz unwichtiger Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung. Ab Herbst 1902 besucht Klee in Bern regelmässig Anatomiekurse für Studierende der Medizin. 1902 schreibt Klee an seine Verlobte Lily Stumpf:
«Nächsten Winter könnte ich in Bern bleiben, da würde ich mich immatrikulieren lassen, um noch mehr Anatomie zu lernen und gründlich, wie die Mediziner. Wenn ich die habe, kann ich alles machen; denn ich bringe jetzt schon auswendig relativ viel zusammen. Von gemeinen und ungebildeten Modellen abhängig zu sein, könnte sogar dem angehauchten Satiriker das Handwerk degradieren.»
Gleichzeitig beginnt Klee nach Präparaten zu zeichnen, zusätzlich besucht er Vorlesungen in praktischer Anatomie. Zu den Vorlesungen berichtet Klee:
«In der Anatomie haben wir uns die ganze Woche mit dem Arm beschäftigt, was das Schwerste ist, besonders Ellenbogen, Unterarm und Handgelenk. Der Professor verwendete schon zwei Vorträge darauf, nächsten Samstag wird wohl noch die Hand drankommen.»
Die hier ausgestellte Zeichnung zeigt die freigelegte Muskulatur eines Arms. Klee zeichnet sie detailgetreu in Bleistift. Mit groben Schraffuren bildet er die Plastizität der Muskulatur ab. Zudem vermerkt Klee auf dem Blatt die Bezeichnungen der verschiedenen Muskeln. Sinn und Resultat der anatomischen Studien Klees werden in seinen «Inventionen» sichtbar, einer Reihe von Radierungen, die zwischen 1903 und 1905 entsteht.