Anni Albers
107 - Vicara Rug II, 1959
Vicara, Wolle und Baumwolle, 153.0 x 100.0 cm
Neues Museum Nürnberg. Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg

Die beiden Werke unter dem Titel Vicara Rug entstehen 1959. Anni Albers übergibt die Ausführung ihrer Entwürfe Inge Brouard Brown, die selbst als Künstlerin, Weberin und Designerin tätig ist. In einem Interview erwähnt Brown, dass sie für die eine Hälfte der Arbeitszeit an den beiden Textilien bezahlt wurde, und für die andere Hälfte Lektionen bei Albers erhielt – das sei für sie eine hervorragende Abmachung gewesen. Für die Herstellung verwendet Brown neben Wolle und Baumwolle zusätzlich Vicara – eine Faser aus Maisprotein der Firma Virginia-Carolina Chemical Corporation in Connecticut. Vicara wurde als warm wie Wolle, weich wie Seide und widerstandsfähig wie Baumwolle beworben.
Mit Distanz betrachtet, fallen zuerst horizontale und diagonale Linien auf, die gleichmässig auf der Bildfläche verteilt sind. Die horizontalen Linien sind etwas breiter als die Diagonalen. Die Linien bilden Dreiecke, teils auf den Kopf gestellt, die an Pyramiden oder Gebirge erinnern. Aus der Nähe löst sich das Werk in kleine weisse Dreiecke auf. Sie erheben sich plastisch aus dem grauen Grundgewebe und sind in einer Florbindung gefertigt. Dadurch entsteht eine Art Noppen, wie es bei Teppichen üblich ist. Oben und unten bilden lange schwarze Fransen einen deutlichen Abschluss. Zu den haptischen Qualitäten von Webarbeiten bemerkt Albers:
«Wir berühren Dinge, um uns der Wirklichkeit zu vergewissern. Wir berühren die Gegenstände, die wir lieben. Wir berühren die Dinge, die wir gestalten. Unsere taktilen Erfahrungen sind elementar.»
Die Dreiecksform findet Albers in der Architektur und der Gestaltung von Textilien aus Süd- und Mittelamerika. In einer Vitrine in dieser Ausstellung sind Materialfragmente zu sehen. Darunter befindet sich etwa ein kleines Fragment, dessen Design auf helleren und dunkleren sich abwechselnden Dreiecken beruht, die mit kleinen Punkten überzogen sind. In Albers' Vicara Rugs bilden die flauschigen weissen Fäden Punkte, die die Dreiecke formen.
Albers wird die Dreiecksform Ende der 1960er-Jahre für die Arbeit in Camino Real und für zahlreiche druckgrafische Werke wieder aufgreifen.