
Paul Klee ist einer der einflussreichsten Kunstschaffenden des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Werke erfreuen sich anhaltender Beliebtheit als Motiv für Bucheinbände innerhalb bestimmter Bereiche des Verlagswesens. Gemessen daran ist Klee auch einer der einflussreichsten Künstler des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Warum greifen Autor:innen und Verlage im Bereich der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts, der sogenannten grossen Theorie und verwandter Geisteswissenschaften (Psychologie, Soziologie, Theologie, Therapie) so oft auf Paul Klee zurück – oft sogar immer wieder auf dasselbe Klee-Gemälde – um die Umschläge ihrer Bücher zu schmücken? Cover Star Klee bringt knapp 150 Bücher zusammen, die mehrheitlich in den letzten 20 Jahren veröffentlicht wurden und bietet damit einige spekulative, vorläufige Antworten auf diese Frage. Vielleicht fühlen sich Theoretiker:innen in unserem kulturellen Klima zu Klee hingezogen wegen seiner Liebe zu allem, was mikroskopisch klein ist; sie mögen in ihm einen Dichter der Fragmentierung, einen Chronisten der Verwirrung und Irritation sehen. Vielleicht passt Klees unheroische Art der Abstraktion beispielhaft zu den unausgegorenen Ängsten unseres orientierungslosen Hier und Jetzt; vielleicht fasst nichts das Rätsel der deutsch-jüdischen Beziehungen so kraftvoll zusammen wie Klees erschrockener Angelus Novus.
Indem die Bücher mit den entsprechenden Originalzeichnungen und Gemälden kombiniert werden, bietet Cover Star Klee einen humorvollen Blick auf das, was heute als «Meme-Kultur» bekannt ist. Diese ist keineswegs als Kritik am akademischen Verlagswesen gedacht. Die Ausstellung ehrt die Macht einer ausgewählten Handvoll künstlerischer Bilder und ihren faszinierenden Einfluss auf die intellektuelle Vorstellungskraft des zwanzigsten (und einundzwanzigsten) Jahrhunderts.
Diese Ausstellung wurde von Dieter Roelstraete konzipiert, Kurator am Neubauer Collegium for Culture and Society an der Universität von Chicago. Ursprünglich als Philosoph ausgebildet, konzentriert sich Roelstraetes kuratorische Arbeit auf das Verhältnis von Kunst und Wissen. Im Jahr 2019 veröffentlichte er das Buch Kleine Welt (siehe Leselounge), das ausgehend von Paul Klees Werken die Bedeutung von Buchumschlägen untersucht.
Auf den Buchzeichen sind Titel, Jahr und Nummer des Klee-Werks auf dem Umschlag vermerkt.
Angelus Novus: Paul Klee und Walter Benjamin
Paul Klees Angelus Novus scheint zum Symbol par excellence für die Triumphe und Tragödien der deutsch-jüdischen Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts geworden zu sein. Diese ikonische aquarellierte Ölpause, die Klee 1920 – zwischen seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst und seiner Ernennung am Bauhaus – anfertigte und die sich heute im Besitz des Israel Museums in Jerusalem befindet, ist vor allem durch ihre Verbindung mit dem Werk des deutsch-jüdischen Philosophen Walter Benjamin bekannt. Dieser kaufte sie im Frühjahr 1921 für die stattliche Summe von 1.000 Mark beim Münchner Kunsthändler Hans Goltz. (Bereits 1920 hatte Benjamins Frau Dora ihrem Mann ein Werk von Klee zum Geburtstag geschenkt, nämlich das Aquarell Vorführung des Wunders von 1916, das sich heute in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York befindet.)
Im selben Jahr gründete Benjamin eine literarische Zeitschrift namens Angelus Novus, mit der er versuchte, eine Verbindung herzustellen zwischen der künstlerischen Avantgarde der Zeit und der talmudischen Legende über Engel, die ständig «geschaffen (werden), um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus gesungen, aufzuhören und in Nichts zu vergehen». (Klee war nicht jüdisch und traf Benjamin nie; wir wissen nicht, ob Klee von dieser theologisch aufgeladenen Interpretation seines Werks durch den Kritiker wusste und wenn ja, was er darüber dachte.)
Klees skurriles geflügeltes Wesen gehörte eindeutig zu Benjamins wertvollsten Besitztümern und begleitete ihn während seines nomadischen, tragisch kurzen Lebens. Im Sommer 1940 floh er aus Paris in die kleine Pyrenäen-Stadt Port Bou, wo er seinem Leben ein selbstgewähltes Ende bereiten würde. Kurz davor schloss er Klees Seraph in ein Bündel von Papieren ein, das er Georges Bataille, einem Bibliothekar seiner geliebten Bibliothèque Nationale, anvertraute. Nach dem Krieg gelangten Benjamins Besitztümer nach New York zu seinem Kollegen der Frankfurter Schule, Theodor Adorno. Dieser übertrug sie später an Benjamins Freund aus der Weimarer Zeit, Gershom Scholem, der verehrte Historiker der jüdischen Mystik in Israel. Nach Scholems Tod im Jahr 1982 wurde Klees Ölpause schließlich von dessen Witwe dem Israel Museum geschenkt – was zur ersten öffentlichen Ausstellung eines Werks führte, das bis dahin nur durch seine rätselhafte Erwähnung im neunten Absatz von Benjamins abstrusem intellektuellem Testament Über den Begriff der Geschichte (1940) bekannt war: «Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heisst. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.» War Benjamins Schutzengel eine Art Klee-Porträt?
Kleinwelt: Paul Klee und das Verlagswesen
Kleinwelt ist der Titel einer Radierung, die Paul Klee 1914 anfertigte. Sie wurde 1918 veröffentlicht, als sie in einem Portfolio von Drucken enthalten war, das von der Zeitschrift Die Schaffenden des Kiepenheuer Verlags herausgegeben wurde. Die vier Jahre zwischen der Entstehung und dem Druck dieses kleinen Werks waren geprägt vom Ersten Weltkrieg – zwei Jahre davon verbrachte Klee in Uniform und aktivem Militärdienst, glücklicherweise weit entfernt von der Front (im Gegensatz zu seinen engen Freunden und Kollegen August Macke und Franz Marc, die in den frühen Jahren eines militärischen Konflikts starben, der die Welt, wie sie sie kannten, völlig veränderte). Der wimmelnde Mikrokosmos der kriechenden Bewegung im Herzen von Kleinwelt kündigt unheilvoll das apokalyptische Chaos und die desorientierende Dunkelheit des Grabenkriegs an. Reproduziert auf dem Umschlag eines Buches mit dem Titel Kleine Welt, das von dem Kurator der aktuellen Ausstellung herausgegeben wurde, spielt es hingegen auf die «kleine Welt» des akademischen Buchverlagswesens an, das so oft auf Paul Klee zurückgreift, um schwer zu bildende Konzepte wie «Unterschied», «Vernunft», «Offenbarung», «Risiko» und andere Schlüsselwörter aus der weitläufigen Kleinwelt der Grosstheorien zu visualisieren.
Paul Klee, so stellt sich heraus, ist der Maler der Philosophen par excellence, der die wortreiche Welt des abstrakten Denkens auf Buchumschlag für Buchumschlag zum Leben erweckt. Wie die Kunsthistorikerin Annie Bourneuf in ihrer beispielhaft betitelten Studie Paul Klee: The Visible and the Legible feststellt, «das Verfolgen von Analogien zwischen Schreiben und Bildern, die Aufforderung zu einer leseähnlichen Betrachtungsweise», sind zentral für Klees Kunst. (Betrachten Sie den Schlusssatz von Absatz Nr. 3 im oft nachgedruckten Text «Schöpferische Konfession» des Künstlers, der erstmals 1920 veröffentlicht wurde: «Im Anfang ist wohl die Tat, aber darüber liegt die Idee. Und da die Unendlichkeit keinen bestimmten Anfang hat, sondern kreisartig anfanglos ist, so mag die Idee für primär gelten. Im Anfang war das Wort, übersetzt Luther.»)
Kleine Welt ist auch der Titel einer Ausstellung, die erstmals 2019 am Neubauer Collegium for Culture and Society der University of Chicago präsentiert wurde, aus der die Idee für Cover Star Klee geboren wurde; diese Ausstellung bestand aus nur 60 Büchern mit von Paul Klee inspirierten Umschlägen. Cover Star Klee hätte leicht 600 Bücher enthalten können – obwohl dies dem Geist von Klees Werk zuwiderlaufen würde, das sich so einzigartig der Ehrung des Kleinen verschrieben hat.
Betroffener Ort: Paul Klee und das Bauhaus
Der amerikanische Philosoph und Kognitionswissenschaftler Daniel C. Dennett liebte Paul Klee offensichtlich sehr: Vier seiner Bücher – darunter seine bekanntesten und meistgelesenen – tragen Werke von Paul Klee auf ihren Umschlägen. Es scheint naheliegend anzunehmen, dass dies ebenso Entscheidungen des Autors wie redaktionelle Entscheidungen waren: Im jüngsten dieser Bücher, Intuition Pumps and Other Tools for Thinking, verweist Dennett tatsächlich auf Klee als einen der vermuteten Urheber des Satzes «das Vertraute fremd machen», den er als eine der «selbstauferlegten Aufgaben» bezeichnet, die sowohl Künstler als auch Philosophen teilen: «Zu denjenigen, denen der Aphorismus zugeschrieben wird, gehören der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der Künstler Paul Klee und der Kritiker Viktor Schklowski.» (Wenn man darüber nachdenkt: Warum gibt es nicht mehr Bücher über Wittgenstein mit Paul Klee auf dem Umschlag? Sie scheinen auch wie füreinander gemacht zu sein.)
Betroffener Ort wurde 1922 während Klees prägender Zeit am Bauhaus gemalt, wo Klee Wassily Kandinsky, den russischen «Erfinder» der abstrakten Kunst wieder traf. Der titelgebende «betroffene Ort» könnte sich auf das Durcheinander von zaunartigen Schnörkeln im Zentrum des Bildes beziehen – ein verlassener Dorfplatz oder Garten? Ein Fleck der Innerlichkeit? – beeinflusst von einem kühnen, ziemlich bedrohlichen Pfeil, der wie ein Blitz oder das Schwert des Damokles vom Himmel hinunter donnert. Klee selbst verstand diesen Einfluss in geologischen Begriffen und beschrieb das Spiel der Horizontalen und Vertikalen in diesem Aquarell als Verwerfungslinie: Der Pfeil ziele in das Zentrum der Erde – die Zitadelle der Gewissheit, vielleicht der vorgefassten Meinungen, die das Leben des Geistes, wie wir es kennen, ausmachen. Betroffener Ort gehört sicherlich zu Klees «aggressiveren» Werken; die widersprüchliche Energie seiner Winkel ähnelt der Härte der Gedanken, die darauf abzielen, «das Vertraute fremd zu machen» und die so zentral sind für die Mission der modernen Kunst, wie sie an Orten wie dem Bauhaus entstanden ist. Vielleicht ist Dessau der wahre «betroffene Ort».
Hauptweg und Nebenwege: Klee und die Kritische Theorie
Die intuitive Verbindung von Paul Klees Kunst mit der Kritischen Theorie und der Philosophie der sogenannten Frankfurter Schule erstreckt sich weit über die romantische Saga von Walter Benjamins Angelus Novus hinaus, wie die vielen Geschichten dieser Schule belegen, die auf klassische Klee-Bilder zurückgreifen, um ihre Bücher zu verkaufen. Klees ikonisches Hauptweg und Nebenwege von 1929 scheint beispielsweise massgeschneidert, um die Ideen von Theodor Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und anderen zu erhellen – ähnlich wie die gröberen, primitiveren Werke der 1930er-Jahre oft eine unvergleichliche Übereinstimmung mit der entsprechend «rohen» und absichtlich «primitiven» Philosophie des langjährigen Gegners der Frankfurter, Martin Heidegger, darstellen. Was könnte besser geeignet sein, die Vorstellung von Kritik als Theorie oder von Theorie als Kritik zu «illustrieren», als ein Bild, das unzählige «Nebenwege» (vgl. die Adornische Taktik der Ablenkung) zeigt, die sich um eine einzige, einspurige «Hauptstrasse» drängen (vgl. den Heideggerschen Mythos eines erkennbaren Ursprungs)? Mit Hauptweg und Nebenwege kam Klee der launischen, schimmernden Essenz der Dialektik vielleicht am nächsten, der «dialektischen Imagination» bei der Arbeit, um den Titel von Martin Jays wegweisender Geschichte der Frankfurter Schule zu paraphrasieren. (In seiner Ästhetischen Theorie bemerkte Adorno unvergesslich, dass die buchstäbliche Grösse von Klee in seinem Talent zur Miniaturisierung liege.)
David Helds etwas spätere Geschichte der Frankfurter Schule endet mit einem langen letzten Blick auf Homers Odyssee, einem Bezugspunkt für Adornos und Horkheimers Theoretisierung der «instrumentellen Vernunft», wie in ihrer wegweisenden Dialektik der Aufklärung erzählt: «Die Heimat ist natürlich das Telos der homerischen Reise», schreibt Held. «Odysseus’ Rückkehr, die die mögliche Heimkehr westlicher Menschen vorwegnimmt, ist jene zu einem Leben, das ‹dem Mythos entrissen› wurde. Sein Zuhause lässt uns jedoch nicht das Grauen seiner Reise vergessen. Noch vergessen wir, dass das Zuhause seines ist. Die Odysseische Heimkehr könnte Versöhnung zwischen Menschen und Natur und zwischen Menschen untereinander versprechen, aber es bleibt ein Versprechen – es wartet auf die Verwirklichung.» Es flackert am Horizont, wie der Nil in der Mittagshitze, wie Paul Klee ihn hier zu malen wählte – und viele Wege können zu ihm führen: je weniger begangen, desto besser.
Alter Klang: Paul Klee und die Musik
Cover Star Klee konzentriert sich auf die Verwendung von Paul Klees Werken in der Buchgestaltung im akademischen und theoretischen Bereich. Vorstellbar wäre jedoch ebenso gut eine Ausstellung, die sich ausschliesslich auf von Paul Klee inspirierte Plattencover konzentriert – denn Klees Kunst scheint eine ebenso beliebte Quelle für Bilder zu sein, um Klang visuell darzustellen, und es ist wenig überraschend, dass Klees Zeichnungen und Gemälde eine beträchtliche Anzahl von Aufnahmen klassischer Musik des frühen 20. Jahrhunderts und insbesondere «abstrakten» Jazz’ zieren. Die weit verbreitete Vorstellung von Klees «Musikalität» – das Gefühl, dass Klee ein klangliches Universum in Farben und Linien statt in Noten und Tönen darstellt – ist teilweise in der Biografie des Künstlers verwurzelt: Klees deutscher Vater war Musiklehrer, seine Schweizer Mutter Sängerin, und er schien zunächst dazu bestimmt, Musiker zu werden, nahm er doch die Geige und den Bogen lange vor dem Pinsel und Stift in die Hand.
Bereits in den 1910er-Jahren machte Klee die bekannte Bemerkung: «Ich muss dereinst auf dem Farbklavier der nebeneinander stehenden Aquarellnäpfe frei phantasieren können.» Sein ikonisches Gemälde Alter Klang von 1925 erscheint insofern programmatisch betitelt, als das sein Musikgeschmack durchweg konventionell, sogar konservativ blieb: Er bevorzugte Bach und Mozart, im Gegensatz zum schroffen Modernismus von Komponisten wie Hauer, Hindemith, Schönberg oder Stefan Wolpe (der zufällig Mitte der 1920er-Jahre, während Klees überaus einflussreichen Zeit, Student am Bauhaus war). Dagegen hören wir letztere vielleicht eher, wenn wir Gemälde wie dieses kraftvolle Experiment in geometrischer Abstraktion betrachten und ihnen lauschen. (Alter Klang erscheint pflichtbewusst auf dem Cover einer Aufnahme von Paul Hindemiths kammermusikalischen Werken mit Klarinette sowie auf einem Album von Takashi Kakos Third Stream-angehauchtem Jazz mit dem Titel Klee.)
Die Verwendung des Werks Alter Klang für das Cover von Michael P. Steinbergs Buch Judaism Musical and Unmusical verbildlicht die vermeintliche Übereinstimmung des angeblichen «Jüdischseins» und der Musikalität von Klees Werk. Der Titel von Steinbergs Buch greift Max Webers Bemerkung «Ich bin religiös unmusikalisch» auf. Klees sich subtil verändernden Raster der 1920er-Jahre hingegen evozieren ein Bild von Musik als der säkularen Religion der modernen Welt.
Constructiv-impressiv: Paul Klee und Hermann Hesse (via Jacques Derrida)
Interessanterweise ist Constructiv-impressiv das einzige Gemälde, das in Jacques Derridas bahnbrechendem (und umstrittenem) Werk Die Wahrheit in der Malerei namentlich erwähnt wird: ein Buch, das scheinbar «über» Kunst ist, aber in Wirklichkeit viel mehr «um» die Kunst herum kreist; ein Buch über Rahmen statt über die darin gerahmten Bilder. Es wurde 1979, auf dem Höhepunkt des Postmodernismus auf Französisch veröffentlicht und ist ein Buch über die Institutionen, die die Kunsterfahrung, wie wir sie kennen, produzieren – vom Atelier über das Museum bis hin zu den Nägeln, an denen ein Gemälde einmal hängt. Derrida (bei dem man sich berechtigterweise fragen könnte: Warum sehen wir nicht mehr Klee-Gemälde auf seinen Buchumschlägen?): «Wenn Nägel gemalt werden (wie sie von Klee in seinem Constructiv-impressiv von 1927 gemalt werden), als Figur auf einem Grund, welchen Platz haben sie dann? Zu welchem System gehören sie?» Das sind grossartige, tiefgründige Fragen – aber sehen wir wirklich Nägel in Klees Gemälde, wie es zum Beispiel auf dem Umschlag einer englischen Ausgabe von Hermann Hesses Das Glasperlenspiel aus den frühen 1970er-Jahren gezeigt wird, dem letzten Roman des Nobelpreisträgers (begonnen 1931, im Exil vollendet und erst 1943 in der Schweiz veröffentlicht)?
Hesse und Klee wurden weniger als zwei Jahre auseinander geboren (der erstere 1877, der letztere 1879), im Südwesten Deutschlands bzw. im schweizerischen Mittelland – Hesse ein Deutscher, der ein Schweizer Schriftsteller wurde, Klee ein Schweizer, der ein deutscher Künstler wurde. Klee schrieb Gedichte (die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden), während Hesse Aquarelllandschaften malte. Dennoch trafen sie sich nie, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag. Am nächsten kamen sie sich in Hesses Novelle Die Morgenlandfahrt von 1932, wo Klee als fiktive Figur neben Platon, Don Quijote, Mozart, Baudelaire und einem gewissen Klingsor auftritt – der expressionistischen Malerfigur im Zentrum von Hesses Roman Klingsors letzter Sommer von 1920.
Die englische Übersetzung von Das Glasperlenspiel wurde inzwischen auch unter dem lateinischen Titel Magister Ludi, «Meister des Spiels», veröffentlicht – über das Hesse folgendes bemerkte: «Diese Regeln, die Zeichensprache und Grammatik des Spiels, stellen eine Art hochentwickelter Geheimsprache dar, an welcher mehrere Wissenschaften und Künste, namentlich aber die Mathematik und die Musik (beziehungsweise die Musikwissenschaft) teilhaben, und welche die Inhalte und Ergebnisse nahezu aller Wissenschaften auszudrücken und zueinander in Beziehung zu setzen im Stande ist. Das Glasperlenspiel ist also ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur, es spielt mit ihnen, wie etwa in den Blütezeiten der Künste ein Maler mit den Farben seiner Palette gespielt haben mag.»
Tod und Feuer: Paul Klee und Martin Heidegger
Tod und Feuer ist eines der letzten Werke, die Paul Klee je gemalt hat, fertiggestellt kurz vor seinem Tod am 29. Juni 1940. Es ist Teil einer grösseren Gruppe von Werken, die nach dem Ausbruch der Sklerodermie in den mittleren 1930er-Jahren entstanden, einer Krankheit, die Klees Feinmotorik beeinträchtigte. Viele der in den letzten Jahren seines Lebens entstandenen Werke sind durch eine quasi-hieroglyphische, grafische Rohheit gekennzeichnet. (Das pharaonische Ägypten sowie die prähistorische Höhlenkunst hatten ihn ebenfalls schon seit einiger Zeit ikonografisch interessiert.) Der Totenschädel im Zentrum dieses grob gearbeiteten Gemäldes auf grober, unbehandelter Jute könnte ein Selbstporträt gewesen sein – der Künstler, der sich auf das Ende vorbereitet, das im Tanz der buchstabenähnlichen Gesichtsmerkmale (T, o und ein auf dem Kopf stehendes d bilden das Wort «Tod») angekündigt wird. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Gemäldes in der neutralen Schweiz umkreiste der Tod Klee von allen Seiten; die deutschen Städte, die er so lange sein zuhause genannt hatte, würden bald in Schutt und Asche gelegt.
Ein immerwährender schauriger Favorit im Zentrum Paul Klee, wurde das Gemälde höchstwahrscheinlich in die Klee-Retrospektive aufgenommen, die der in Ungnade gefallene deutsche Philosoph Martin Heidegger 1956 in Bern besuchte – eine dunkle Zeit wiederum für das gefallene Idol von Todtnauberg. (Bevor Heidegger den rumänisch-jüdischen Dichter Paul Celan in seinem rustikalen Bergrefugium in den späten 1960er-Jahren traf, war letzterer bereits berühmt dafür geworden, den Tod als einen «Meister aus Deutschland» zu bezeichnen.) Die Begegnung mit Klees Werk nach dem Krieg veranlasste Heidegger bekanntlich kurzzeitig dazu, Teile seines wegweisenden Essays «Der Ursprung des Kunstwerks» von 1936 neu zu schreiben. Aus dem Plan wurde jedoch nichts, er blieb in einem zufälligen Stapel von «Notizen zu Klee» stecken blieb – eine davon enthält ein denkwürdiges Zitat von Klee: «Bilder sind keine lebenden Bilder.» Bilder sind tot: Nicht-Wesen. Dieses Klee-Gemälde muss Heidegger besonders angesprochen haben, da es freimütig mit dem «Sein zum Tode» resoniert, wie er eine der grundlegenden Qualitäten des authentischen Daseins gerne charakterisierte.
Der zusammengepresste Kiefer, der den Totenschädel in der Mitte des Gemäldes markiert, hat dieses Kunstwerk zu einembeliebten, naheliegenden Motiv für eine Reihe von Veröffentlichungen zum morbiden Thema des «späten Stils» gemacht, und es könnte kaum ein passenderes Siegel für die Vereinigung von Heidegger und Sprache im Tod geben als Klees berühmte letzte Striche.
Senecio: Paul Klee und das Altern/Schweigen
Das Gemälde Senecio, mit dem alternativen Titel Baldgreis, zeigt Klee in seiner skurrilsten und humorvollsten Form und offenbart etwas von Klees geistiger Verwandtschaft mit dem sanften, spielerischen Anarchismus des Zürcher Dada. Obwohl in diesem groben, cartoonartigen Porträt eines kleinen «alten Mannes» offensichtliche Echos afrikanischer Maskenkunst und des Kubismus zu erkennen sind, könnte der aufschlussreichere Vergleichspunkt die lebendige satirische Tradition sein, die zu dieser Zeit in Deutschland florierte – denken Sie beispielsweise an George Grosz’ scharfe Karikaturen der Säulen der Weimarer Gesellschaft, die so oft als «senil werdende Männer» dargestellt wurden. Das Jahr 1922 war für Klee besonders produktiv, aber auch ein sehr bedeutsames Jahr in der unmittelbaren Nachkriegszeit Deutschlands, das die Ermordung von Walther Rathenau und die schwindelerregende Abwertung der Mark erlebte. Dies ebnete den Weg für eine Verbreitung extremistischer politischer Diskurse, die im Hitlerputsch von 1923 gipfelten. (Ist das ein kleiner, ordentlich getrimmter Schnurrbart, den wir sehen, oder sind das nur Senecios Nasenlöcher?) Klees «petit vieillard» scheint ein wenig verstimmt, beunruhigt: er wirkt gar verärgert – daher der passende Coverstar von Robert C. Solomons True to Our Feelings: What Our Emotions Are Really Telling Us, dessen erstes Kapitel den Titel «Anger as a Way of Engaging the World» trägt. Wie zeitgenössisch erscheint uns Klees wütender alter Mann in unserem aktuellen Zeitalter der Wut, das mehr als einen beiläufigen Vergleich mit Deutschlands Schicksalsjahr 1933 ausgelöst hat.
Senecio erscheint auch auf dem Umschlag eines Buches, das sich dem Werk von Stefan Heym und Jakov Lind widmet, zwei relativ wenig bekannten deutsch-jüdischen Autoren, die hauptsächlich beziehungsweise ausschliesslich in der englischen Sprache ihrer angenommenen Heimat und («translingualen») Nachkriegs- Identität veröffentlichten. Der Autor behauptet, die Wahlsprache dieser Romanautoren sei das einzige Dach über ihrem Kopf. Interessanterweise scheint Klees kleiner alter Mann keinen nennenswerten Mund zu haben: keine Sprache für ihn, der im linguistischen Tumult der 1920er-Jahre Mitteleuropas geboren wurde. Wie bezeichnend, dass Klee dieses Bild im selben Jahr malte, in dem James Joyce’s Ulysses – die ultimative Geschichte des «Wandernden Juden» in Gestalt von Leopold Bloom, als gesprächiger Jedermann in einer kleinen Auflage in Paris erstmals veröffentlicht wurde (Heym schrieb 1981 tatsächlich ein Buch mit dem Titel Wandernder Jude – Ahasver).
Blick aus Rot: Paul Klee und die Psycho-analyse/-logie/-therapie
Blick aus Rot – gelegentlich tendenziös als «Beware of Red» (Vorsicht vor Rot) ins Englische übertragen, was im Kontext seiner Entstehung (1938) entschieden politisch klingt – ist eines der späten Gemälde von Paul Klee. Es kündigt das nahende Ende vielleicht etwas weniger demonstrativ an als sein Tod und Feuer, mit dem es ein rudimentäres (und unheilvolles) Gefühl der Zerstreuung und Fragmentierung teilt. (Paul Klee ist der grösste Poet der Fragmentierung als die definierende philosophische Erfahrung der Moderne – des Fragments als Sakrament des modernen Denkens.)
Wie so viele von Klees Kunstwerken lädt dieses Gemälde zu interpretativen Projektionen aller Art ein. Daher scheint es nur angemessen, dass eine Reproduktion von Blick aus Rot, so verwirrend, ohne Zentrum und offen für Analysen, auf dem Umschlag eines Buches von Jonathan Lear mit dem Titel Open Minded: Working Out the Logic of the Soul erscheint, das in Teilen als kritischer Appell für eine Rückkehr zu Freuds Theorien als unerschöpfliche Quelle für ein besseres Verständnis der Struktur der menschlichen Subjektivität in unserem Zeitalter des «Wissens» konzipiert wurde. Denken und Schreiben liegen an der Schnittstelle von Philosophie und Psychoanalyse, bemerkt Lear in seinem Vorwort zu Open Minded: «Psychoanalyse, sagte Freud, ist ein unmöglicher Beruf. Ebenso ist es die Philosophie. Dies ist keine Metapher oder eine poetisch paradoxe Wendung. Es ist buchstäblich wahr. Und die Unmöglichkeit ist letztlich eine Frage der Logik. Denn die Grundidee eines Berufs ist die einer defensiven Struktur, und es gehört zur Idee der Philosophie und Psychoanalyse, Bestrebungen zu sein, die solche Begrenzungen aufheben. Es gehört zur Logik der Psychoanalyse und Philosophie, dass sie Lebensformen sind, die sich dem offenen Leben verschrieben haben – mit Wahrheit, Schönheit, Neid und Hass, Staunen, Ehrfurcht und Angst.» Um nicht nur den Geist, sondern auch Körper und Seele – und Auge und Ich gleichermassen zu öffnen.
Die Natur von Paul Klees Beziehung zu Freud und der Psychoanalyse ist ein zu weitreichendes Thema, um es hier darzulegen, aber die anhaltende Popularität von Klees Bildern, die als besonders geeignet angesehen werden, um verschiedene Ansätze verschiedener «Logiken der Seele» (Psychologien, Psychotherapien) zu «illustrieren», ist für alle offensichtlich. Die Verflechtung von Sehen und Verstehen könnte integraler Bestandteil dieser Umstände sein: Die Essenz von Klees Werk könnte in seinem grundlegenden Widerstand gegen die Identifizierung von «Essenzen» liegen – in seiner programmatischen, niemals ermüdenden Öffnung des Sichtfeldes.
Impressum
Fokus. Cover Star Klee
Zentrum Paul Klee, Bern
7.6. – 14.9.2025
Digital Guide
Umsetzung: Netnode AG
Projektleitung: Dominik Imhof
Kurator und Texte: Dieter Roelstraete
Das Zentrum Paul Klee ist barrierefrei und bietet inklusive Veranstaltungen an.