Digital Guide

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Überwindung des Rasters

Für Anni Albers bot die Weberei mit ihrer strengen Beschränkung auf die Vertikalität und Horizontalität von Kette und Schuss ein klares Raster. «Für mich war das eine enorme Hilfe, und vermutlich kann es das für jeden sein, solange man sich gleichzeitig damit beschäftigt, dieses zu durchbrechen.» In ihren Bildwebereien überwand Albers durch ihren innovativen Umgang mit Techniken, Materialien und Farben die Rasterstruktur. In In Orbit (1957) beispielsweise scheinen ovale Formen sich gleichsam von der Oberfläche zu lösen und aufzusteigen.

Beim Weben sind Diagonalen an der Stelle, an der Schussfäden und Kettfäden aufeinandertreffen, naturgemäss abgestuft. Die Grundlage für die beiden Probedrucke der Serigrafie With Verticals (1983) bildet Albers gleichnamige Webarbeit von 1946. Die vertikalen Balken bilden ein rhythmisches Muster, das Klaviernoten gleicht. Die zentralen Elemente des Werks sind aber die Diagonalen: In den Drucken gelangen Albers jene glatten, schnurgeraden Diagonalen, die im Weben nicht umsetzbar sind.

Für Albers war ihre Wendung hin zu Arbeiten auf Papier, nach Jahrzehnten des Webens, «eine grosse Erleichterung, denn es befreit dich vom Horizontalen, Vertikalen, die das Weben prägen». Vom Webstuhl gelöst tauchte Albers in neue Geometrien ein, überwand das Raster mit Dreiecken, Diamanten, Recht­ecken und Parallelogrammen und kreierte neue asymmetrische, nicht eindeutig ausgerichtete Kompositionen und labyrinthartige Muster. So sagte sie: «Kunst versucht uns durch die Organisation von Formen eine Sicherheit zu vermitteln, damit wir sie begreifen können. [...] Immer wieder sind gerade Linien, rechte Winkel und geometrische Formen die Handschrift des Menschen.»

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