Digital Guide

Anni Albers

Einleitung

Kunst ist etwas, das dich mit einer anderen Art von Glück atmen lässt.
Anni Albers, 1968

Während man beim Namen Anni Albers zunächst an ihre berühmten Webereien denkt, verschiebt diese Ausstellung den Fokus vom Weben auf Textildesign, Materialien und Albers’ Zusammenarbeit mit Architekten und Textilhersteller:innen. Der Ausstellungstitel ist Albers’ Essay von 1946 «Constructing Textiles» entlehnt. Sie reagierte damit auf die wachsende industrielle Textilproduktion, die die Vorstellung von Handweberei als konstruktivem Prozess infrage stellte.

Anni Albers’ Auffassung vom Weben als der ersten Technologie und seiner Nähe zur Architektur fusst auf den Ideen des Architekten und Kunsthistorikers Gottfried Semper, der im 19. Jahrhundert vom Textil als Ursprung der Wand sprach. Semper beschrieb Textilien als «Urkunst» und sah darin den Anfang aller Architektur, da Textilien lange vor dem Bauen mit dauerhafteren Materialien zum Schutz und als Raumeinteilung eingesetzt wurden.

Die Ausstellung ist in sechs Kapitel gegliedert, die verschiedene Themenschwer­punkte abdecken: Anni Albers’ Ausbildung am Bauhaus; die Lehren, die sie aus der präkolumbischen Webkunst zog; die Rolle der Geometrie; Experimente mit ­neuen Materialien; das Design funktionaler Materialien und die Beziehung zwischen Weben und Schreiben. Im Zentrum der Ausstellung stehen sieben Projekte, die Albers’ Zusammenarbeit mit Architekten hervorheben sowie ihre Entwicklung neuer, auf die Bedürfnisse spezifischer architektonischer Räume abgestimmter Textilien.

Anni Albers’ Unterfangen waren allesamt von ihrer Auffassung vom Weben als einem Konstruieren mit Fäden geprägt, als einem sich stets wandelnden Experiment mit neuen Materialien und als einem integralen Bestandteil der Architektur. Sie betrachtete ihre Arbeit als ein Abenteuer und ermutigte in ihren Schriften andere Designer:innen dazu, sich auf die «Kraft der Schöpfung» einzulassen. In diesem Sinne hoffen wir, dass auch diese Ausstellung inspiriert, provoziert und Begeisterung entfacht und kreative Köpfe zu wohlüberlegter und innovativer Kunst-, Design- und Architekturproduktion anregt.

Die Ausstellung ist vom Zentrum Paul Klee, Bern, und der Josef and Anni Albers Foundation, Bethany, CT, organisiert, in Kooperation mit dem Belvedere, Wien.

Chronologie

1899
Annelise Else Frieda Fleischmann wird am 12. Juni als ältestes von drei Kindern von Siegfried und Antonie Fleischmann in Berlin geboren.

1922
Im April beginnt Albers ihr Studium am Bauhaus Weimar. Nach Absolvierung des Vorkurses tritt sie in die Webereiwerkstatt ein und beginnt im Wintersemester 1922/23 ihre Lehrzeit.

1924
Albers webt ihre ersten grossformatigen Wandbehänge. Im November wird ihr erster Essay, «Bauhausweberei», veröffentlicht.

1925
Das Bauhaus zieht von Weimar nach Dessau. Am 9. Mai heiraten Anni und Josef Albers und aus Annelise Fleischmann wird Anni Albers.

1929
Albers entwirft eine schalldämpfende, lichtreflektierende Wandverkleidung für die Aula der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds in Bernau.

1930
Im Februar schliesst Albers als erste Weberin am Bauhaus ihr Diplom ab und wird für ihre «experimentelle Verwendung neuer Materialien und ihren souveränen Umgang mit der unterschiedlichen strukturellen Beschaffenheit von Textilien» gewürdigt.

Albers assistiert dem Kurator Ludwig Grote bei der Wanderausstellung Moderne Bildwirkereien. Zwei Wandbehänge von Albers sind in der Ausstellung zu sehen.

Albers eröffnet ihre eigene Werkstatt in Dessau, die später nach Berlin umzieht. Sie entwickelt Wandtextilien aus Zellophan, Polsterstoffe und weitere Textilien für die industrielle Fertigung.

1931
Im Juli erhält Albers den Ehrenpreis der Stadt Berlin für ihre Textilien in der Deutschen Bauausstellung. Ihre Arbeit wird auch von Philip Johnson gesehen, der zu der Zeit das Architekturdepartment des Museum of Modern Art in New York leitet.

Im September wird Albers nach dem Weggang von Gunta Stölzl kommis­sarische Leiterin der Webereiwerkstatt des Bauhauses. Im Januar 1932 übernimmt Lilly Reich die Leitung.

1933
Am 11. April schliesst das inzwischen in Berlin ansässige Bauhaus auf Druck der Nazi-Behörden. Im August lädt Philip Johnson per Telegramm Josef Albers ein, an das neu gegründete Black Mountain College in North ­Carolina zu kommen, und dort das Kunstdepartement aufzubauen. Am 24. November treffen Anni und Josef Albers in New York ein und reisen weiter zum Black Mountain College.

1934
Albers initiiert den Webkurs für Studierende am Black Mountain College. Im Dezember reisen Anni und Josef Albers nach Havanna.

1935
Anni and Josef Albers reisen zum ersten Mal nach Mexiko. Sie besuchen Mexiko-Stadt, Oaxaca und Acapulco sowie die prähistorischen Stätten von Teotihuacán, Monte Albán und Mitla. Sie beginnen mit dem Sammeln präkolumbischer Objekte und Textilien.

1936
Anni and Josef Albers fahren nach Mexiko und verbringen dort Juni bis August. Anni Albers fertigt zwei grossformatige Wandbehänge an, Monte Albán und Ancient Writing.

1937
Anni Albers’ Eltern kommen von Berlin zu Besuch nach Mexiko. Gemeinsam sind die beiden Paare von Mitte Juni bis Mitte Juli auf Reisen.

1938
Albers’ erster auf Englisch verfasster Text über die Webereiwerkstatt am Bauhaus wird im Katalog zur Ausstellung Bauhaus 1919–1928 am Museum of Modern Art in New York publiziert. Auch Albers’ Textilarbeiten sind in der Ausstellung zu sehen.

1939
Im Mai erhält Albers die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

1946
Ab Oktober nehmen sich Josef und Anni Albers eine einjährige Auszeit vom Black Mountain College. Sie reisen viel und besuchen Kanada, den Mittleren Westen, Kalifornien und Texas. Nach einem längeren Aufenthalt in New Mexico reisen sie nach Mexiko weiter, wo sie bis Oktober 1947 bleiben.

1947
Mit dem Wandteppich La Luz beginnt für Albers eine neue, «in Richtung Kunst» gehende Phase in ihrem Schaffen, die zwei Jahrzehnte andauern wird. Später nennt sie die Arbeiten aus dieser Zeit «pictorial weavings» (Bildwebereien).

1949
 Im Februar verlassen Anni und Josef Albers das Black Mountain College. Sie verbringen den Sommer in Mexiko-Stadt, wo Josef Albers an der Universidad Nacional Autónoma de México unterrichtet. Im Herbst ziehen sie nach Manhattan.

Walter Gropius beauftragt Albers mit dem Design von Textilien für das neu gebaute Harvard Graduate Center.

Am 14. September eröffnet die Ausstellung Anni Albers Textiles im Museum of Modern Art in New York, die in den folgenden drei Jahren in 26 Museen gezeigt wird.

1950
Philip Johnson wählt einen der mit Kupferfäden und Chenille gewebten Stoffe von Albers für das Rockefeller Gästehaus in Manhattan aus.

Josef Albers wird zum Leiter des neu geschaffenen Fachbereichs für Design an der Yale University ernannt. Im Herbst ziehen Anni und Josef Albers nach New Haven in Connecticut.

1953
Von Juni bis September bereisen Anni und Josef Chile und Peru.

1954
Albers trifft die Teppichherstellerin Gloria Finn Dale, mit der sie eine Zusammenarbeit beginnt.

1955
Albers entwirft maschinengewebte Vorhänge für Privathaushalte.

1957
Im Auftrag von György Kepes gestaltet Albers acht Paneele für den Thoraschrein des Tempels Emanu-El in Dallas, ihre erste Arbeit für eine Synagoge.

Albers gestaltet Stoffe für Knoll Textiles, darunter auch Netzvorhänge aus Fiberglas und Leinen. Die Zusammenarbeit dauert zwanzig Jahre an.

1958
Albers gestaltet Vorhänge für den Altarraum des Westchester Reform Tempels in Scarsdale, New York.

King-lui Wu, Dozent am Fachbereich Architektur der Yale University, lädt ­Albers ein, einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel «Designing as Visual Organization» (Gestaltung als visuelle Organisation) zu halten.

1959
Albers’ Buch On Designing, eine Sammlung mit zehn Essays, die sie von 1937 bis 1957 verfasst hat, erscheint.

Im Mai eröffnet in der New Gallery des Massachusetts Institute of Technology die Ausstellung Anni Albers: Pictorial Weavings. Die Ausstellung ist anschliessend in verschiedenen Städten der USA zu sehen.

1960
Im August schickt Albers ihre englische Übersetzung von Paul Klees Vortrag zur modernen Kunst, den er 1924 in Jena hielt, an die Kunsthistorikerin Charlotte Weidler. Albers schreibt: «Er wurde nie veröffentlicht. Ich habe versucht, den Rhythmus zu bewahren, der mit den Bedeutungen einhergeht, und auch einige von Klees speziellen Ausdrucksweisen, die auch auf Deutsch ungewohnt klingen. […] Sollten Wittenborns daran interessiert sein, ihn zu veröffentlichen, wäre das eine grosse Freude für mich, und ich hätte das Gefühl, Klee zumindest auf diese Weise DANKE zu sagen.» Albers Übersetzung wird nie veröffentlicht.

Am 23. September brechen Anni und Josef Albers zu einer viermonatigen Europareise auf. Es ist das erste Mal seit 1933, dass Anni Albers Europa besucht.

1961
Für den Thoraschrein der neugebauten Synagoge der B’nai-Israel-Gemeinde in Woonsocket, Rhode Island macht Albers sechs hand­gewebte Paneele sowie einen durchsichtigen, glänzenden Vorhang.

1963
Albers fertigt ihre ersten Drucke im Tamarind Lithography Workshop in Los Angeles an.

1965
Wesleyan University Press veröffentlicht Albers’ Buch On Weaving. Sie widmet das Buch ihren «grossartigen Lehrer:innen, den Weber:innen des alten Peru».

1967
Albers’ Arbeit Six Prayers, die im Juni 1965 als Auftragsarbeit entstanden ist und an die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden und Jüdinnen erinnern soll, wird zum ersten Mal in der Lobby des Jewish Museum in New York ausgestellt.

1968
Albers gestaltet ihre letzte Bildweberei und nennt sie passenderweise Epitaph. Von da an konzentriert sie sich auf Druckgrafik und ­Arbeiten auf Papier.

Im Auftrag der Architekten Ricardo Legorreta und Luis Barragán gestaltet Albers einen grossformatigen Wandbehang für das neue Hotel Camino Real in Mexiko-Stadt.

1969
Im Oktober werden Albers’ Wandbehang We 791 (auch bekannt als Black-White-Red) und ihre Bildweberei Tikal in der wegweisenden Ausstellung Objects: USA gezeigt. Die Ausstellung tourt drei Jahre lang durch 33 Ausstellungsorte in den USA und Europa und trägt massgeblich dazu bei, Kunsthandwerk als bildende Kunst zu verstehen.

1970
Anni and Josef Albers ziehen nach Orange in Connecticut. Albers vermacht ihre letzten zwei Webstühle einem örtlichen College und übergibt dem Museum of Modern Art sowie dem Metropolitan Museum of Art in New York einen bedeutenden Teil ihrer Textilarbeiten als Schenkungen.

1975
Knoll Textiles stellt auf der Grundlage von Albers’ Drucken eine Reihe bedruckter Stoffe her.

1976
Am 25. März verstirbt Josef Albers in New Haven nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt.

1977
Das Brooklyn Museum organisiert die Ausstellung Anni Albers: Drawings and Prints.

1979
Albers gestaltet, ausgehend von ihren Zeichnungen und Drucken, eine Vorhangstoffkollektion für Sunar Textiles (später S-Collection).

1984
Albers’ Mappe Connections erscheint bei Fausta Squatriti Editore in Mailand. Die neun Siebdrucke gründen auf Arbeiten, die Albers während beinahe sechs Jahrzehnten geschaffen hat.

1985
Die Retrospektive The Woven and Graphic Art of Anni Albers eröffnet im Juni in der Renwick Gallery des Smithsonian American Art Museum. Anschliessend ist sie in der Yale University Art Gallery zu sehen.

1994
Am 9. Mai, ihrem 69. Hochzeitstag, verstirbt Anni Albers friedlich in ihrem Zuhause in Orange, Connecticut.

Video: Anni's Webstuhl (Dauer: 4:54 Min.)

In diesem Kurzfilm von Alberto Amoretti und Giovanni Hänninen demonstriert die Weberin Addison Walz den Flensburger Kontermarschwebstuhl von Anni Albers in Aktion. Als Albers 1933 Deutschland in Richtung USA verließ, nahm sie den 7-Fuß-Webstuhl mit. Sie nutzte ihn in der Webereiwerkstatt des Black Mountain College zur Herstellung einiger ihrer bedeutendsten Werke, darunter die Wandbehänge Ancient Writing und Monte Alban. 1950 zog der Webstuhl mit Albers nach New Haven. 1961 verkaufte sie ihn an ihre Schülerin Dolores Dembus Bittleman, die ihn über viele Jahre weiter nutzte. In den späten 1990er Jahren gelangte der Webstuhl in den Besitz von Sigrid Piroch, die ihn sorgfältig restaurierte und in ihrem eigenen Atelier verwendete. 2015 spendete Piroch den Webstuhl großzügig der Albers Foundation. Heute wird er von ansässigen Weber:innen und Künstler:innen genutzt und schafft eine Verbindung zwischen dem Erbe von Anni Albers und zeitgenössischer Textilkunst.

© The Josef and Anni Albers Foundation

Begleitprogramm

Re-constructing Anni

Samstag, 8. November 2025, 11:00
Ein praxisorientierter Vortrag von Katharina Jebsen-Plättner (Professorin für Textilkunst / -design und Weberin mehrerer Werkrekonstruktionen), mit einer Einführung von Brenda Danilowitz (Chefkuratorin Josef and Anni Albers Foundation)
 

Designtag: Wie verändern sich die Anforderungen ans Textildesign?

Sonntag, 16. November 2025
Gespräche mit Expert:innen in der Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Berner Design Stiftung
10:30 Textile Kunst heute
Mit Salomé Bäumlin (Berner Künstlerin und Initiatorin des Projekts Ait Selma), über Textil als Medium zeitgenössischer Kunst und über die Webwerkstatt als gesellschaftliches Projekt
12:00 Was müssen Stoffe können?
Mit Philippe Baumann (CEO und Inhaber des Schweizer Traditionsunternehmens Création
Baumann), über Anforderungen an heutige Textilien im Kontext von Design, Materialität, Funktionalität und Nachhaltigkeit
15:00 Schweizer Textildesigngeschichten
Mit Anouk Bonsma und Prof. Katharina Tietze (Trends & Identity, Zürcher Hochschule der Künste), über die Protagonist:innen der Zürcher Textilklasse und ihre Verbindungen zum Bauhaus
 

Anni Albers über Mittag

Donnerstags, 13.11. / 20.11. / 27.11. / 4.12.2025, 12:30 – 13:15
Studierende stellen ausgewählte Werke von Anni Albers vor. Eine Zusammenarbeit mit der Abteilung Geschichte der textilen Künste der Universität Bern

Impressum

Digital Guide

Umsetzung: Netnode AG
Projektleitung: Dominik Imhof
Übersetzungen: In Deutsch von Tabea Xenia Magyar und Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective. Italienisch von Linda Farata und Elena Sciarra für Gegensatz Translation Collective. Französisch von François Lacire und Mathilde Rosso für Gegensatz Translation Collective.

 

Das Zentrum Paul Klee ist barrierefrei und bietet inklusive Veranstaltungen an.

Kultur inklusive

Katalog

Anni Albers. Constructing Textiles
Verlag Hatje Cantz in deutscher Sprache. Im Museumsshop für CHF 39 erhältlich.

 

In Zusammenarbeit mit

  

Mit Unterstützung von
Kanton Bern  BAK  Swisslos Kanton Bern   Burgergemeinde Bern   Ursula Wirz Stiftung Scherbarth Stiftung  Minerva  

#AnniAlbers #ConstructingTextiles #zentrumpaulklee @zentrumpaulklee

Ausstellungstexte

Audioguide (Zum Hören und zum Lesen)

Anni Albers

101

Anni Albers, Wandbehang We 791

104

Anni Albers, Vicara Rug II

107

Unbekannt, Geknüpftes Netz

110

Anni Albers, handwoven Sample

113

Anni Albers, Schreinverkleidung

116

Anni Albers, Open Letter

119

Anni Albers

102

Anni Albers, Ancient Writing

105

Anni Albers, Variations on a Theme

108

Anni Albers, With Verticals

111

Anni Albers, Melfi

114

Anni Albers, Sheep May Safely Graze

117

Anni Albers, Untitled

120

Anni Albers, Reproduktion des Wandbehangs Nr. 175

103

Anni Albers, Necklace

106

Unbekannt, Fragment, Chancay

109

Anni Albers, Triangulated Intaglio III

112

Anni Albers, Six Prayers

115

Anni Albers, Epitaph

118

Anni Albers, Knot

121